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Das »Gedächtnis der Stadt« verabschiedet sich in den Ruhestand

Der Name Wilfried Kraus ist in Königslutter wohl so ziemlich jedem bekannt. Insgesamt 35 Jahre lang besetzte der pensionierte Lehrer den ehrenamtlichen Posten des Stadtarchivars und trug damit dazu bei, die Geschichte Königslutters lebendig zu halten. Im Rathaus fand vor Kurzem die feierliche Verabschiedung des Mannes statt, der bei vielen als »wandelndes Gedächtnis der Stadt« in Erinnerung bleiben wird. Neben dem Team aus dem Stadtarchiv waren auch Vertreter von Verwaltung und Rat eingeladen worden.
Wilfried Kraus mit einem Kirchenbuch der Stadtkirche Königslutter aus den Jahren 1746 bis 1773. Die Verwaltung solcher Dokumente war 35 Jahre lang eine Herzenssache für den heutigen 84-Jährigen

»Am 1. Juli 1985 war ich gerade einmal zwölf Jahre alt, als Wilfried Kraus die Nachfolge von Heinz Röhr als Stadtarchivar antrat«, erinnerte sich Bürgermeister Alexander Hoppe in seiner Laudatio, in der er auf die vergangenen Jahrzehnte zurückblickte. Es ist die Geschichte, über ein bewegtes Leben, das in Schlesien begann. Der Vertriebene Wilfried Kraus kam im Jahr 1946 mit seiner Familie nach Königslutter. Bis heute lebt er im Ortsteil Rottorf, nur unweit der Elmstadt entfernt. 

Bis 1954 besuchte er die Schule in Königslutter und studierte später Lehramt in Braunschweig. Durch seine Zeit als Realschullehrer lernte er in den Folgejahren etwa 6 000 Schüler und deren Eltern kennen. Wenn man bedenkt, dass Königslutter knapp 16 000 Einwohner hat, kann man fast sagen, dass Wilfried Kraus sie fast alle kennt. Diese Tatsache erleichterte ihm den Einstieg in den Posten des Stadtarchivars, denn er baute sich schnell ein Netzwerk auf und gründete das Stadtarchiv-Team. 

Nach dem Start auf dem Dachboden des Stadt- und Jugendhauses in der Marktstraße 1 setzte sich Kraus fortan für neue Räumlichkeiten ein, die bessere Arbeitsabläufe und mehr Stauraum ermöglichten. Im Jahr 2018 war es dann so weit – das Stadtarchiv zog ins alte Brauhaus in der Straße Sack 1. »Die Stadt hat uns immer gefördert, erst vor Kurzem wieder durch neue Regale, und kann stolz sein auf ihr Kulturhaus, das Stadtarchiv und Biblio­thek vereint«, äußerte sich Wilfried Kraus, der neben seinem Ehrenamt als Stadtarchivar auch in vielen anderen Bereichen Spuren hinterlässt.
So war Kraus beispielsweise auch Gründungsmitglied des Vereines Freilicht- und Erlebnismuseum Ostfalen, kurz Femo. Der Verein befasst sich damit, seinen Besuchern auf spannende und vielfältige Weise die Natur- und Kulturgeschichte der Region näherzubringen. Ebenso war Kraus als Mitglied des Arbeitskreises »Lokale Agenda 21« am Bau des Naturschaugartens beteiligt. Gefolgt vom großen Engagement beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der u. a. die Entwicklung des Wasserlehrpfades in Königslutter initiierte. 

Im November 2013 wurde Wilfried Kraus der BUND-Umweltpreis der Kreisgruppe Helmstedt verliehen. Damit wurde sein lebenslanges Engagement für Heimat, Geschichte und Umwelt gewürdigt. Ganz und gar wird er jenes Engagement wohl auch nicht ablegen können, wie er selber sagt. Zu einer lieb gewonnenen Institution ist beispielsweise die Jugend- und Kirchenarbeit geworden, die ihn seit seinen Anfängen in der Stadt im Jahr 1946 begleitet. Bis heute mischt er praktisch überall mit und richtet u. a. Gottesdienste aus. Parallel kümmert sich Kraus als Mitherausgeber um die Erstellung des Stadtführers, veröffentlicht kleine Beiträge zur Lokalgeschichte und hält anschauliche Vorträge über heimatkundliche Themen. Nach wie vor eingebunden in Vereine und Verbände, organisiert er Stadt- und Domführungen, bei denen er zum Teil als Mönch verkleidet unter dem Namen »Bruder Wilfried« anschaulich über die Königslutteraner Geschichte berichtet und sie auf diese Weise greifbar macht für jüngere Generationen. 

Die Krönung dieses Lebenswerkes folgte im Jahr 2016 mit der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Eine Auszeichnung, an die er oft zurückdenkt und die den 84-Jährigen und seine Familie stolz macht. Der Vater von vier Kindern und mittlerweile Opa von elf Enkeln und bald zweifache Uropa wird seinen Kollegen aus dem Stadtarchiv wohl des Öfteren einen Besuch abstatten und freut sich, in Nachfolger Thomas Markwardt, seinem ehemaligen Schüler, einen neuen engagierten Stadtarchivar gefunden zu haben.