Viele trauten ihren Augen nicht, als sie die neuen gefiederten Bewohner am einstigen Sitz der Landbäckerei Tolle sahen. Erstmals ließ sich ein Weißstorchenpaar zum Brüten im beschaulichen Dorf Uhry nieder. Wo früher der Duft von frisch gebackenen Brötchen und Broten durch die Luft zog, sorgte ein Storchenpaar mit seinem Balz- und Nistverhalten für Aufsehen unter den Bewohnern. Doch dann kam am Dienstag Sturm auf, und das Nest wehte vom Dach. Daraufhin startete Bäckermeister Markus Tolle kurzerhand eine spektakuläre Rettungsaktion mit einigen Dorfbewohnern.
Schon von Weitem war das große Nest auf dem ehemaligen Gelände der 1895 durch Richard Tolle gegründeten Bäckerei zu erkennen. »Damals weckte mich mein Vater stets mit Klopfzeichen, heute holen mich die Störche durch ihr Klappern aus dem Bett«, lachte Inhaber Markus Tolle, der den Betrieb in vierter Generation führt. Durch den Sturm sollte jedoch alles anders kommen. »Das Nest landete auf unserem Flachdach. Zum Glück befanden sich darin noch keine Eier«, berichtet Tolle, der schnell durch Freiwillige aus dem Ort bei der Rettung des Storchennestes unterstützt wurde.
In der ehemaligen Backstube wurde gewerkelt, bis eine Holzkonstruktion als Unterbau für das neue Nest fertig war. Für den gelernten Schornsteinfeger Sören Hoffmann, der sich als Freund der Familie ebenfalls an der Storchenrettung beteiligte, ging es im Anschluss hoch hinaus. Mit vereinten Kräften wurde die Konstruktion hochgehievt. Und das mit Erfolg: Nur wenige Minuten, nachdem die Helfer das Dach wieder verlassen hatten, kamen sie zurück: die zwei Störche, die von den Dorfbewohnern bereits auf die Namen Paul und Anneliese getauft worden waren – nach den Eltern von Hans-Joachim Tolle und Großeltern von Markus. »Wir sind alle glücklich über den erfolgreichen Ausgang dieser nicht ganz ungefährlichen Aktion«, so Markus Tolle.
Seit 2013 wird nicht mehr in Uhry gebacken. «Unser Hauptsitz dort wurde für die Mengenanforderungen von heute einfach zu klein«, schildert der Bäckermeister, der den von seinem Vater übernommenen Betrieb stets weiterentwickelte und über insgesamt vier weitere Filialen in Abbenrode, Heiligendorf, Emmerstedt und Helmstedt verfügt.
Am neuen Bäckerei-Hauptsitz in der Klosterstraße in Königslutter entstand nun anlässlich der aufsehenerregenden Rettungsaktion ein sogenanntes Storchenbrot. Damit möchte Markus Tolle seine Kundschaft in die Namensfindung für die hoffentlich bald schlüpfenden Storchenküken mit einbeziehen. »Unsere Kunden sollen entscheiden, wie die Küken heißen sollen«, verkündet Tolle. Ab dem 10. Mai erhält jeder Kunde der Landbäckerei Tolle in allen Filialen beim Kauf eines Storchenbrotes eine Teilnahmekarte, auf der man dann seinen Wunschnamen vermerken kann. Es bleibt also spannend im Hause Tolle und abzuwarten, wie viele Küken am Ende schlüpfen werden.
Bis dahin darf sich jeder die Zeit mit den Köstlichkeiten aus der Landbäckerei vertreiben. Seit jeher steht der familiengeführte Betrieb für traditionelles Backhandwerk. »Wir stellen alle unsere Brote von Hand her und sind bekannt für unseren hausgemachten Sauerteig«, verkündet Tolle stolz. Neuerdings steht das Stammhaus in Königslutter übrigens voll und ganz unter den Fahnen der Nachhaltigkeit. Seit Anfang des Jahres ist die Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Bäckerei aktiv. »Wir produzieren seit Kurzem unseren eigenen Strom und konnten auf diese Weise schon sage und schreibe rund 18 Tonnen CO2 einsparen«, verrät der Bäckermeister stolz. Kein Wunder, dass sich bei so viel Einsatz für den Umweltschutz auch die Störche auf dem Dach der Familie Tolle rundum wohlfühlen.
Annika Steinkamp