»Mit dem neuen Förderprogramm ›Ladeinfrastruktur vor Ort‹ wird der Aufbau von Ladestationen mit weiteren 300 Millionen Euro beschleunigt«, lässt das Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur in einer Pressemitteilung verlauten. Niedersachsens Landesministerium zieht nach und stellt zu den Millionenförderungen vom Bund seit diesem Jahr weitere 20 Millionen Euro zum Ausbau der Ladeinfrastruktur bereit. »Wir wollen die Grundlage dafür schaffen, dass niemand in Niedersachsen mehr lange suchen muss, bis er die nächste E-Ladesäule gefunden hat«, bekräftigt der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann die Offensive zur Ausweitung der E-Mobilität. Finanziell ist das Feld für eine zukunftsfähige Infrastruktur bereitet, doch betrachtet man die Situation im Landkreis Helmstedt, wird schnell deutlich, dass die Ladeinfrastruktur trotz immer mehr zugelassener Elektro- und Hybridautos noch weit hinterherhinkt. Öffentliche Säulen sind besonders im ländlichen Raum rar gesät, und oft sind es private Investoren, welche die Bereitstellung von Ladeplätzen vorantreiben.
Die Erwartungen im Sektor Elektromobilität sind hoch und scheinen seitens der Autobauer erfüllt zu werden. Bis spätestens 2030 wird prognostiziert, dass knapp 15 Millionen batterieelektrische Autos bundesweit unterwegs sein werden. Allein das lokale Beispiel Volkswagen übertrifft seine einstigen Planungen von einer Million E-Fahrzeuge bis 2025. Diese Marke soll nun schon 2023 erreicht werden. Bis 2025 sollen es dann 1,5 Millionen sein. Diesen Weg möchten augenscheinlich viele Fahrzeugführer mitgehen.
Sind im Jahr 2020 bundesweit 194 163 E-Autos zugelassen worden, waren es in den ersten zwei Monaten 2021 bereits 34 593 – hochgerechnet wären dies Ende 2021 knapp 210 000 E-Autos. Diese steigenden Werte verzeichnet auch der Landkreis. Bis zum Ende des Jahres 2020 meldete die Zulassungsstelle in Helmstedt 366 Neuzulassungen reiner Elektroautos. Aktuell sind es 457, ein Anstieg von 24,8 Prozent. Die lukrativen Förderungen bei der Anschaffung, die Kostenersparnis beim »Tanken« sowie der Beitrag zur CO2-Reduzierung bewegen derzeit viele Autofahrer zum Umstieg auf umweltfreundliche und nachhaltige E-Mobilität.
Allerdings gibt es einen Wermutstropfen. Wem die Möglichkeiten fehlen, zu Hause oder an der Arbeitsstelle zu laden, dem könnte derzeit bei seinen täglichen Touren innerhalb des Landkreises noch vermehrt drohen, dass »der Saft« ausgeht. Während die Ladesituation in der Kreisstadt Helmstedt mit etwa zehn Säulen (davon vier an Autobahnauf- und abfahrten) selbst noch ganz gut aussieht, sind die öffentlichen Möglichkeiten beispielsweise in Königslutter, Schöningen und im ländlichen Raum äußerst rar gesät.
Öffentliche, durch die Behörden errichtete Säulen an den Marktplätzen oder Bahnhöfen sucht der E-Autofahrer hier vergebens. In Königslutter beispielsweise sind die Stadtwerke für die Installation öffentlicher Säulen zuständig. »Aktuell gibt es noch keine öffentlichen Ladesäulen, auch sind konkret keine geplant. Zwar steht dieses Thema auf unserer Agenda, aber nicht ganz oben«, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke Königslutter Christian Seidenkranz. Auch Schöningen muss passen. Aus der Pressestelle heißt es, dass dieses Thema zwar verfolgt werde, sich die Finanzierung aber insofern schwierig gestalte, dass Fördermittel ab einer Summe von 50 000 Euro zu beantragen seien, diese Investitionen den Bedarf allerdings weit überschritten. Das steht im Gegensatz zur Entwicklung.
Es sind allein private Unternehmen und Investoren, die derzeit die Infrastruktur gewährleisten. In Königslutter hat das Autohaus Stark bereits 2017 eine Ladesäule auf seinem Gelände aufgestellt. Auch Edeka Zeidler und der Lidl am Fischersteg haben E-Ladesäulen auf den Parkflächen installiert. In Schöningen befindet sich eine Säule auf dem Marktkauf-Parkplatz.
Erst kürzlich ist zudem das Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG) in Kraft getreten, welches besagt, dass bei Neubauten und größeren Renovierungen von Gebäuden ab einer bestimmten Anzahl von Parkplätzen Ladestationen vorgesehen sein müssen.
Eine weitere dezentral gelegene Elektro-Tankstelle befindet sich am Forschungsmuseum Schöningen, die von der Allianz für die Region aufgestellt wurde. Während die Marktkauf-Säule laut Internet-Ladekarte »Goingelectric« mit knapp 200 Ladungen (Stand Ende März) gut frequentiert ist, weist der Standort Forschungsmuseum nur 15 Ladungen (Stand Mai 2020) auf und scheint seit längerer Zeit defekt zu sein. Weitere sind im Raum verteilt: bei Landstrom in Gevensleben und am Hotel Burg Warberg (Tesla-Supercharger-Säule).
Trotz des steigenden Produktionsvolumens an E-Autos und hohen Investitionen von Bund und Land bleibt der Ausbau der Ladeinfrastruktur, besonders im ländlichen Raum, ein Bereich mit reichlich Potenzial für Verbesserungen. Losgelöst von Mutmaßungen und Bedenken aufgrund geringer Ladezahlen in Einzelfällen bedarf es dabei vor allem vonseiten der Behörden neben finanziellen Mitteln noch gezielterer Auswertungen zu Nutzungsverhalten und -dauer beim Ladevorgang an bereits bestehenden Säulen, der detaillierten Evaluierung von Verkehrs- und Parkaufkommen in Kleinstädten und Dörfern sowie fundierter Analysen zur Bereitschaft der Autofahrer, in naher Zukunft in die Anschaffung eines Elektro- oder Hybridfahrzeuges investieren zu wollen. Nur so kann eine lohnenswerte und flächendeckende Ladeinfrastruktur geschaffen werden, welche die Nutzung eines E-Autos auch auf dem Land attraktiv macht.
Bis es so weit sein wird, muss der umweltbewusste E-Autofahrer vom Lande sich noch in Geduld üben und beim Blick auf die sinkende Stromanzeige stets die Nerven behalten, wenn die Suche nach der nächsten Ladesäule – entgegen den Aussagen von Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann – doch mal wieder länger dauert.
Sebastian Nickel
und Sebastian Lükemann