Vor Kurzem veröffentlichte der Lelmer Landwirt Martin Scholze ein Buch über den Wandel der Landwirtschaft von 1945 bis heute. Einst von mühsamer Handarbeit geprägt und unterstützt zunächst nur durch tierische Zugkraft, hat sich die Landwirtschaft durch wissenschaftliche und technische Fortschritte zu einem hoch produktiven Wirtschaftszweig entwickelt. Im Interview gibt Martin Scholze dem Stadtspiegel einen ersten Einblick in sein Buch und berichtet über seine Beweggründe, die ihn von seinem geliebten Traktorsitz an den Schreibtisch verschlugen.
Herr Scholze, Sie sind selbst Besitzer eines landwirtschaftlichen Betriebes. Wie fing damals alles an?
Die Landwirtschaft war für mich ein Leben lang vielmehr eine Berufung als nur ein Job. Aus diesem Grund absolvierte ich nach meiner landwirtschaftlichen Lehre ein Studium der Agrarwissenschaften, welches ich im Jahr 1984 abschloss. Nur ein Jahr später übernahm ich meinen heutigen Betrieb mit insgesamt 40 Hektar Land. Da der Hof im Vorfeld verpachtet war, musste ich alle Maschinen neu anschaffen. Dies war nur dank der Unterstützung meiner Frau möglich, die weiterhin in Vollzeit arbeiten ging.
Im vergangenen Jahr gingen Sie in den wohlverdienten Ruhestand. War dies der Anlass für Sie, Ihre Erfahrungswerte auf Papier zu bringen?
Nach 35 Jahren in der Landwirtschaft hat man einiges zu berichten. Hauptbeweggrund für mich war aber die verstärkt in den öffentlichen Fokus geratene Debatte über Glyphosat, das Insektensterben, Nitrat im Grundwasser und die Massentierhaltung. Mir war es wichtig, Aufklärung zu bieten, denn viele dieser von Vorurteilen geprägten Diskussionen zeugen von geringer Sachkenntnis. Leider scheint der Wandel der Landwirtschaft an einem Großteil der Bevölkerung vorbeigegangen zu sein. Zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn beispielsweise in Kinderbüchern immer noch das Bild vom kleinen Bauernhof mit ein paar Tieren und dem gummistiefeltragenden Landwirt mit Forke vermittelt wird.
Die Landwirtschaft spaltet sich in viele verschiedene Bereiche. Welche Betriebszweige beleuchten Sie in Ihrem Buch?
In meinem Buch beleuchte ich alle Betriebszweige. Angefangen bei der Fortentwicklung des Ackerbaus über die Tierhaltung bis hin zur alternativen Energiegewinnung. Außerdem zeige ich auf, was eine moderne Landwirtschaft bedeutet und welche Rahmenbedingungen für eine zukünftig im Sinne der Ernährungssicherheit erforderliche Landwirtschaft notwendig sind.
Sehen Sie durch den zunehmenden technischen Fortschritt eine Gefahr für die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft?
Wie heißt es so schön, nichts ist so beständig wie der Wandel. Diesen halte ich für ganz normal. Ein schöner Vergleich aus meinem Buch: Ein Landwirt ernährte damals etwa zehn Menschen mit seinen Hoferzeugnissen. Heute versorgt ein Landwirt schon 150 Personen mit Lebensmitteln. An diesem Vergleich wird deutlich, dass durch den Einzug der Technik und den Wegfall der Zugpferde (die ihre Höfe meist in den 1950er-Jahren verließen) auf einmal eine ganz andere Masse an Arbeit für eine einzige Person umsetzbar wurde. Von 1950 bis heute ist die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft von 25 auf 1,5 Prozent gesunken.
Viele kleine Höfe existieren heute nicht mehr. Wie sieht es bei Ihnen im Dorf mit der landwirtschaftlichen Entwicklung aus?
Unser Dorf Lelm zählt zusammen mit Räbke zu den Dörfern mit noch verhältnismäßig großer landwirtschaftlicher Dichte. In Lelm gibt es derzeit noch um die zehn wirtschaftende Höfe. Dies liegt u. a. aber auch an unserer guten Ertragsfähigkeit durch die Böden. Die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes rechnet sich nur noch ab einer bestimmten Betriebsgröße. Wachstum musste her oder ein Nebenwerb – für alle anderen bedeutete es vor einiger Zeit schon aufgrund zu geringer Größe das Aus. Nachteilig zu bewerten ist in meinen Augen die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft. Kapital von großen Unternehmen fließt z. B. in den Kauf großer landwirtschaftlicher Höfe im Osten. Gegründet werden dann Gesellschaften und Stiftungen als Wertanlage.
Wie betrachten Sie die aktuelle Trendentwicklung bei Bioartikeln?
Es spricht nichts gegen eine alternative biologische Entwicklung, jedoch bleibt zu bedenken, dass die Erträge durch viele verschiedene Faktoren nur etwa halb so hoch sind wie bei konventionell wirtschaftenden Höfen. Die Gesellschaft kann kurzum niemals ausschließlich durch biologisch erzeugte Nahrungsmittel ernährt werden.
Das Gespräch führte
Annika Steinkamp