Friedrich Dieckmann war ein Arbeiter im Zementwerk in Hoiersdorf. Er hatte vier Kinder und lebte in Schöningen in der Baderstraße 23. In den Augen des NS-Regimes leistete er sich aber wohl einige Verfehlungen, die Details liegen im Dunkeln. In jedem Fall war sein Tod einer von unfassbar vielen durch die Hand der Diktatur. Nun ist sein Name insofern ins Gedächtnis gerückt, da Dieckmann an eben dieser Adresse am 11. Oktober der erste Stolperstein in Schöningen gesetzt wurde, der sich mit den Opfern der Aktion »Arbeitsscheu Reich« der NS-Zeit befasst.
Im Grunde ist der goldfarbene, mit Messing besetzte Stein Friedrich Dieckmanns der 39. Stolperstein, der in Schöningen platziert wurde. Allerdings ist es der erste Stein, der sich nicht mit der Judenverfolgung oder der Euthanasie beschäftigt. Er ruft die »vergessenen« Zwangsarbeiter, die als »Asoziale« oder »Arbeitsscheue« betitelt wurden, ins Gedächtnis, welche wegen eines nicht in die NS-Gesellschaft passenden Lebensstils oder Verfehlungen zu Tausenden im Frühjahr 1938 im Rahmen der Aktion »Arbeitsscheu Reich«, verhaftet, und vielfach auch ermordet worden waren, wie es die AWO-AG »MeGa – Mauern einreißen, Grenzen abbauen« schreibt. Ruben Herm, Referent Engagementförderung und ehrenamtlicher Leiter der AG, war in seiner Recherche auf den Namen Friedrich Dieckmann gestoßen und damit auch auf die Geschichte des Schöninger Bürgers: Mit seiner Verhaftung am 20. April 1938 wurde der 1889 geborene Dieckmann ins Gefängnis nach Braunschweig gebracht und darauf von der Stapo Braunschweig nach Buchenwald verfrachtet. Im Juni 1942 wurde er in das Konzentrationslager Dachau, im März 1944 in der Kategorie ASO (»asozial«) bzw. AZR (»Arbeitszwang Reich«) ins Außenlager Neckarelz 1 und nach Natzweiler überstellt. Da das Konzentrationslager Natzweiler durch das Vorrücken der Alliierten am 4. September 1944 evakuiert wurde, kam auch Dieckmann mit all den Häftlingen auf den Evakuierungstransport nach Dachau. Er erhielt die Häftlingsnummer 99312. Am 7. März 1945 starb Friedrich Dieckmann laut Akten an »Herz- und Kreislaufversagen bei Magengeschwür«.
Neben Dieckmann entdeckte Ruben Herm, der eng mit dem Stadtarchiv und der Internetseite »Arolson Archives« zusammenarbeitet, viele weitere dieser Schicksale von Menschen, die der Aktion »Arbeitsscheu Reich« zum Opfer fielen. Insgesamt sollen es rund 10 000 Menschen gewesen sein, die mit den zunächst braunen, dann schwarzen Winkel als »Asoziale« gebrandmarkt, »entrechtet, ausgebeutet und nicht selten ermordet« (MeGa) wurden. So hat der AWO-Mitarbeiter zusammen mit Gunter Demnig sowie Heidi Rank, Rosemarie und Manfred Saak vom Arbeitskreis (AK) Stolpersteine auch in Oschersleben eine Stolperschwelle errichtet, die den Blick auf weitere 1 300 ermordete richtet.
Den Stein in der Baderstraße 23 in Schöningen setzte der Bildhauer Gunter Demnig im Beisein von Bürgermeister Malte Schneider, dem Arbeitskreis Stolperstein, Schülern der zehnten Klasse der Realschule Schöningen sowie dem Musiker Johann Voß, der ein Gedicht und ein Lied vortrug, ein. Demnig hat die Stolpersteine 1996 entwickelt, fertigt sie und hat sie selbst schon in rund 30 Staaten eingepflastert. »Tausende Male niedergekniet, den Rücken gebeugt vor den Stolpersteinen mit den Namen der Menschen, an denen großes Unrecht geschehen ist – ja, die ermordet wurden. Durch die Solpersteine werden diese Menschen gewürdigt«, ehrte Manfred Saak dessen Arbeit. Gunter Demnig selbst meint, dass Friedrich Dieckmanns Stolperstein wohl sein 104 000. gewesen sei. Und es werden weitere folgen, wie Manfred Saak verriet, der gemeinsam mit dem Künstlern, dem AK Stolpersteine und der AG MeGa für nächstes Jahr eine weitere Stolperschwelle für 3 800 Zwangsarbeiter plant.
Sebastian Lükemann