Zwei Jahre nach dem überraschenden Abstieg in die Drittklassigkeit ist die Eintracht aus Braunschweig zurück in der 2. Bundesliga. Ein kleines Fußballmärchen, das nach der rasanten Talfahrt in den vergangenen zwei Jahren wohl nur die kühnsten Optimisten für möglich gehalten hatten. Vor allem ein starker Lauf nach der coronabedingten Zwangspause ebnete den Weg zur Rückkehr in die zweithöchste deutsche Spielklasse für die »Löwen«.
Als Torjäger Martin Kobylanski mit seinem kompromisslosen Volleytreffer gegen Waldhof Mannheim den 3 : 2-Heimsieg am vorletzten Spieltag einer bis dato hoch spannenden Drittligasaison perfekt machte und rund 600 Kilometer weiter südlich wenig später die zweite Vertretung des FC Bayern mit ihrem Last-Minute-Ausgleich gegen Aufstiegsmitkonkurrent MSV Duisburg die entscheidende Schützenhilfe leistete, kannte der Jubel im Stadion an der Hamburger Straße keine Grenzen mehr. Leider ohne die eigenen Fans, aber trotzdem nicht weniger ausgelassen feierten die Aufstiegshelden um den scheidenden Trainer Marco Antwerpen auf dem grünen Rasen ihren hart erarbeiteten Erfolg, den im Vorfeld der Saison aufgrund der negativen sportlichen Entwicklung des deutschen Meisters von 1967 wohl kaum jemand auf dem Zettel hatte. Im Sommer 2017 spielten die Blau-Gelben unter Ex-Trainer Torsten Lieberknecht als drittplatzierter Zweitligist gegen den Lokalrivalen VfL Wolfsburg in der Relegation noch um den Bundesligaaufstieg, zogen dort nach zwei 0 : 1-Niederlagen aber den Kürzeren. In der Folgesaison gerieten die »Löwen« Mitte der Saison in eine Negativspirale und konnten nach teilweise desolaten Vorstellungen und einer 2 : 6-Niederlage bei Holstein Kiel am letzten Spieltag den Abstieg in die 3. Liga nicht mehr abwenden.
Unter dem neuen Trainer Henrik Pedersen verpatzte der BTSV den Saisonstart in der tieferen Spielklasse völlig und fand sich nach elf Spieltagen mit mageren acht Punkten auf dem letzten Tabellenplatz wieder. Folgerichtig musste Pedersen gehen, und sein Nachfolger André Schubert übernahm das Zepter. Auch der ehemalige Trainer von Bundesligist Borussia Mönchengladbach startete zunächst glücklos, leitete aber, auch dank kluger Wintertransfers, in der Rückrunde die Wende ein. Unter anderem mit den Rückkehrern Benjamin Kessel und Urgestein Marc Pfitzner sowie Marcel Bär vom VfR Aalen und Bernd Nehrig, der vom FC St. Pauli in die Löwenstadt wechselte, machte die Schubert-Elf in der Tabelle Punkt für Punkt gut und sicherte sich am letzten Spieltag mit einem 1 : 1 gegen den direkten Konkurrenten Energie Cottbus den Klassenerhalt. Ein mehr geschossenes Tor gab gegenüber den punktgleichen Brandenburgern letztlich den Ausschlag. Nachdem die Eintracht den Fall in die fußballerische Bedeutungslosigkeit in letzter Sekunde abgewendet hatte, übernahm nach dem Abgang von André Schubert zu Holstein Kiel Co-Trainer Christian Flüthmann den Posten des Cheftrainers mit dem Ziel, einen Neubeginn einzuleiten und das Team sportlich zu stabilisieren. Flüthmann führte das Team bis zum 15. Spieltag auf Tabellenplatz fünf, musste dann aber seinen Hut nehmen. Auf ihn folgte schließlich Marco Antwerpen, der zuvor bei Preußen Münster an der Seitenlinie gestanden hatte und bei seinem Debüt mit einem 2 : 1-Sieg gegen den Chemnitzer FC direkt einen Dreier einfahren konnte. Aus den folgenden elf Partien sprangen jedoch nur magere 13 Punkte heraus, sodass nach dem sang- und klanglosen 0 : 3 bei Hansa Rostock am 9. März Tabellenplatz neun mit drei Punkten Abstand zu den Aufstiegsplätzen zu Buche stand, ehe die knapp dreimonatige Coronazwangspause folgte.
Diese nutzten Antwerpen und die Mannschaft anscheinend optimal, um sich neu einzuschwören und fokussiert auf den lange Zeit ungewissen Restart unter schwierigen Bedingungen mit zahlreichen »englischen Wochen« und ohne Fans in den Stadien vorzubereiten. So präsentierte sich die Eintracht bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebes Ende Mai körperlich und mental auf den Punkt fit und besiegte Viktoria Köln im eigenen Stadion trotz zwischenzeitlichem Rückstand am Ende klar mit 4 : 2. Unter den Torschützen damals war auch Offensivmann Martin Kobylanski, der in den folgenden neun Spielen bis zum 37. Spieltag, von denen nur eines verloren ging, weitere acht Tore folgen lassen sollte. Mit insgesamt 18 Saisontoren avancierte der 26 Jahre alte Pole zum Aufstiegsgaranten und hat spätestens seit seiner Direktabnahme ins Aufstiegsglück in der 73. Minute gegen Mannheim einen Platz in den Geschichtsbüchern des Vereins sowie in den mit neuer Euphorie gefüllten Herzen der Fans der Blau-Gelben sicher. Den Gang in die 2. Bundesliga wird Eintracht Braunschweig derweil ohne seinen Aufstiegstrainer Marco Antwerpen antreten. Der Vertrag des 48-jährigen Fußballlehrers, der vor allem mit seiner erfolgreichen Rotationstaktik nach dem Coronarestart überzeugte, wurde von Seiten der Vereinsführung nicht verlängert. Auch Antwerpens Co-Trainer Kurtulus Öztürk wird die »Löwen« verlassen. Wer Antwerpens Nachfolge antreten wird, ist noch unklar.
Kessel: »So lange für die Eintracht, wie mein Körper mitmacht«
Bereits von 2010 bis 2015 spielte Benjamin Kessel für Eintracht Braunschweig und stieg mit den »Löwen« 2013 in die Bundesliga auf. Nach Zwischenstopps bei Union Berlin, beim 1. FC Kaiserslautern und beim 1. FC Saarbrücken kehrte der 32-Jährige im Winter 2019 zum BTSV zurück und feierte mit seinem Team den nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Nach der Rückkehr in die 2. Bundesliga spricht der Rechtsverteidiger im Interview mit dem Stadtspiegel über seine Erinnerungen an eine turbulente Spielzeit, die Gründe für den erfolgreichen Saisonendspurt nach der Coronapause und über seine Zukunftspläne.
Herr Kessel, Sie und Ihr Team haben eine nervenaufreibende Saison mit dem Zweitligaaufstieg gekrönt. Wie beschreiben Sie den Saisonverlauf und welche Ereignisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Rückblickend kann man sagen, dass wir gut gestartet sind. Dann hatten wir eine kleine Schwächephase und den Trainerwechsel von Christian Flüthmann zu Marco Antwerpen. Bis zur Coronakrise sah es dann so aus, als ob wir den Aufstieg tendenziell nicht schaffen. In der Zwangspause sind wir als Team aber noch einmal enger zusammengerückt und haben es am Ende doch geschafft.
Was hat Ihrer Meinung nach den Ausschlag gegeben, dass das Team so gefestigt aus der Coronazwangspause zurückkam und bis zum 36. Spieltag ungeschlagen blieb?
Zunächst war es so, dass die bittere 0 : 3-Niederlage bei Hansa Rostock im letzten Spiel vor der Coronapause uns schwer zugesetzt hat. Jeder ist dann noch einmal in sich gegangen. Wir alle wussten, dass wir uns so schwach nicht mehr präsentieren dürfen. Anschließend haben wir in den sechs Wochen Kleingruppentraining, die ab einem bestimmten Zeitpunkt erlaubt waren, intensiv gearbeitet. Hinzu kam, dass uns unser großer Kader zum Vorteil wurde. So konnten wir, bis auf zwei drei Spieler, die durchgespielt haben, ständig frische Spieler bringen. Der entscheidende Punkt war letztlich, dass wir als Team so richtig zusammengefunden haben.
Wie haben Sie die letzten Tage verbracht und wie wurde gefeiert?
Die Feierlichkeiten waren natürlich etwas anders als sonst. Nach dem Spiel gegen Mannheim war es natürlich eine lange Nacht. Ansonsten haben wir natürlich im Mannschaftskreis gefeiert. Das eine oder andere Bier haben wir trotzdem getrunken. Das haben wir uns auch verdient. Und jetzt ist erst einmal Urlaub angesagt.
Sie haben bereits von 2010 bis 2015 für Braunschweig gespielt und sind im Winter 2019 aus Saarbrücken zurückgekehrt. Damals stand der Verein abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz der 3. Liga. Warum zog es Sie zurück zur »alten Liebe« und wie haben Sie die turbulenten letzten eineinhalb Jahre erlebt?
Als damals im Winter die Anfrage von André Schubert kam, habe ich sofort zu meiner Frau gesagt, dass ich das machen möchte, weil ich in Braunschweig meine schönste Zeit hatte als Fußballer. Wir sind dann mit unserem Neugeborenen, was gerade 14 Tage alt war, hergekommen. Sportlich war die Situation zu diesem Zeitpunkt fast aussichtslos, aber ich habe von Anfang an geglaubt, dass wir den Abstieg noch verhindern können. Dass ein Jahr nach dem knapp geschafften Klassenerhalt jetzt der Aufstieg steht, ist ein Traum und macht mich wirklich glücklich.
Ihr Vertrag in Braunschweig läuft noch bis Ende Juni 2021. Wie sehen Ihre Planungen aus?
Ich bin mir relativ sicher, dass ich nirgendwo anders mehr hin wechseln werde. So lange mein Körper noch mitmacht, will ich die Fußballschuhe für Eintracht Braunschweig schnüren. Ich hoffe, dass das noch ein paar Jahre sein werden. Das ganze Team und ich freuen uns auf die 2. Liga. Jetzt genießen wir aber erst einmal den Moment, bevor es in eine lange Vorbereitung geht.
Das Interview führte Sebastian Nickel