Inklusion. Ein Begriff, den man zwar oft hört, aber, mal Hand aufs Herz, nicht so oft sieht. In der Kindertagesstätte »Assewind« der Samtgemeinde Elm-Asse in Wittmar ist das anders, hier wird Inklusion gelebt. Schon seit 1998 ist die Kita integrativ. Das heißt, hier werden auch Kinder mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen betreut. Das kennt man schon. Besonders wird es aber, wenn eines dieser Kinder Jahre später als Praktikant zurückkommt und selbst zum Betreuer wird. So wie bei Levi Klußmann.
»Ich kann mich noch genau an den kleinen Levi erinnern. Er konnte nicht sprechen und nur eine Hand richtig bewegen«, erinnert sich Kitaleiterin Birgit Härder. Und heute? »Heute sitzt da ein junger Mann, der den Morgenkreis leitet, mit den Kindern im Bällebad spielt und einfach einen tollen Job macht«, so Härder weiter.
Es war ein langer Weg bis hier hin, erinnert sich Levis Mutter Anke Klußmann: »Levi sitzt im Rollstuhl, weil er von Geburt an eine motorische Beeinträchtigung hatte. Die Ärzte haben uns damals gesagt, dass er wahrscheinlich nicht sprechen wird und höchstens mit einem Joystick einen Rollstuhl bewegen könnte.« Aber davon ließen sich Klußmanns nicht entmutigen. Mutter Anke und Vater Frank gingen zu Spezialisten, nutzten jede Fördermöglichkeit für ihren Sohn und gerieten genau an die richtige Kita. »Hier haben wir uns alle sofort wohlgefühlt, und Levi wurde gefördert und gefordert«, berichtet Anke Klußmann. Und das alles zahlte sich aus. Heute sitzt da ein 18-Jähriger, der gerade an seinem Realschulabschluss arbeitet, um dann als nächsten Schritt Sozialpädagogischer Assistent zu werden. Locker plaudert er darüber, warum er wieder in der Kita gelandet ist: »Ich hatte hier immer eine super Zeit. Und jetzt, da das Praktikum anstand, war klar, dass ich hierhin zurückgehen möchte.«
Levi besucht die Anne-Marie-Tausch-Schule in Wolfsburg, eine Berufsschule für Sozialpädagogik. »Eine super engagiertes Kollegium«, lobt Vater Frank. »Hier wird dir nicht gesagt, was nicht geht, sondern hier werden Lösungen gefunden. Und auch der Landkreis Wolfenbüttel unterstützt uns großartig und hat zum Beispiel eine Schulbegleitung für Levi genehmigt.«
Schon nach den ersten Sätzen mit Levi merkt man: Er hat den Schalk im Nacken. Dabei kommt er gar nicht aus Kneitlingen, sondern aus Groß Denkte. Dort ist er mit zwei älteren Schwestern aufgewachsen, und man kennt ihn im Ort als konsequenten Schwimmer im Denkter Freibad. In der Kita kennen sie ihn vor allem als »Leuchtemännchen«. »Egal, wie mies das Wetter ist, morgens geht die Eingangstür auf und Levi kommt mit einem leuchtenden Lächeln rein. Wir haben immer gesagt, da kommt unser Leuchtemännchen«, freut sich Birgit Härder über ihren Gute-Laune-Praktikanten. Der jeden Morgen trotz Rollstuhl mit den Öffis zur Arbeit kommt. Und der mit seiner Art auch super bei den Kindern ankommt. »Einer hat mich mal gefragt, ob mein Rollstuhl ein Transformer sei, diese Autos, die sich in Roboter verwandeln können. Da habe ich ihn auf meinen Schoß genommen und wir haben ’ne Runde gedreht«, lacht Levi.
Der junge Mann kennt keine Berührungsängste, und im Gegenzug kennt auch keiner Berührungsängste mit ihm. »Inklusion muss man auch wollen. Und wir sind hier ein Team, das nicht nur darüber spricht, sondern macht«, sagt Birgit Härder. »Levi hat zum Beispiel auch den Turnunterricht betreut. Dazu musste allerdings eine Treppe überwunden werden. Und natürlich ist es selbstverständlich für uns, dass wir Levis Rollstuhl da hochtragen, damit er mit dabei sein kann«, berichtet der stellvertretende Kitaleiter Maximilian Rauprich. Und im Gegenzug entlastet Levi die Kollegen. »Nur ein Beispiel: Ich weiß noch, wie ich aus dem Fenster sehe, wie sich zwei Kinder im Außenbereich streiten, bin aber gerade amk Telefon. Zack, schon geht die Tür auf und Levi ruft die beiden zur Ordnung. Er ist sehr konsequent, und die Kinder haben Respekt vor ihm. Eine echte Verstärkung für unser Team«, so Kitaleiterin Härder.
»Ich will anderen, denen es ähnlich geht wie mir, hier auch mal Mut machen. Egal, was man euch sagt, zieht es einfach durch. Man sieht ja, dass dann vieles möglich ist«, schildert Levi. Und ob. Levi hat nicht nur den »schwarzen Gürtel« im Praktikantensein, er spielt auch Akkordeon (legendär: seine Schneeflöckcheninterpretation mit der Fuchsgruppe vor Weihnachten), schwimmt für sein Leben gern und betreibt auch einen eigenen Youtube-Kanal, bei dem es um selbst gebaute Murmelbahnen geht. Natürlich preisgekrönte Bahnen, versteht sich. Was für ein Typ! Potenzielle Arbeitgeber müssen sich aber noch gedulden. Levi braucht noch etwa drei Jahre bis zum Sozialpädagogischen Assistenten. Falls dann ausbildungstechnisch schon Schluss ist. Was man bei Levi Klußmann eher nicht vermuten sollte. Dem »Leuchtemännchen« und dem Leuchtturm, wenn es um gelebte Inklusion in der Samtgemeinde Elm-Asse geht.